Frau Börzel, das Objekt, das Ihr Exzellenzcluster in der Kampagne symbolisiert, ist ein verspiegelter Dodekaeder, also ein zwölfseitiger geometrischer Körper. Was hat es damit auf sich?
Tanja Börzel: Bei SCRIPTS betrachten wir aus vielen unterschiedlichen theoretischen und methodischen Perspektiven das liberale Skript und seine Kontroversen. Gleichzeitig reflektieren wir permanent unseren Forschungsgegenstand, den Forschungskontext und auch den Prozess, wie wir forschen. Die 12 Spiegelflächen des Dodekaeders sind Ausdruck dieser Perspektivenvielfalt und Reflexivität.
Ihr Forschungsgegenstand ist das liberale Skript. Was verstehen Sie unter diesem Begriff?
Börzel: Das liberale Skript ist ein Konzept, unter dem wir liberale Ideen und Institutionen zur Organisation von Gesellschaften fassen. Die Auseinandersetzungen um diese liberalen Ordnungsideen und Institutionen schlagen sich in sehr konkreten gesellschaftspolitischen Kontroversen nieder: Dazu gehört der Aufstieg des Rechtspopulismus in weiten Teilen Europas, die Aufarbeitung der COVID19-Pandemie – zum Beispiel die Frage der Impfpflicht und die Schließung von Schulen, oder auch die gegenwärtige Debatte um den Antisemitismus. All das sind Themen, die das liberale Skript betreffen. Denn immer geht es dabei auch um die Frage, inwiefern meine individuellen Rechte durch die Gemeinschaft zum Wohle der Gemeinschaft eingeschränkt werden dürfen. Unsere Forschung hat also sehr viel mit jedem und jeder Einzelnen von uns zu tun.
Trägt SCRIPTS also dazu bei, den Liberalismus zu retten?
Börzel: Wir sind nicht das Cluster zur Verteidigung des liberalen Skripts. Aber wenn wir verstehen, wie Auseinandersetzungen rund um das liberale Skript funktionieren, welche Triebkräfte beispielsweise hinter der zunehmenden Radikalisierung und Polarisierung stehen und welche Auswirkungen das wiederum auf das liberale Skript hat, dann können wir auch Überlegungen anstellen, wie sich die Resilienz, also die Widerstandsfähigkeit liberaler Gesellschaften stärken lässt.