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Welche Materialien und Ressourcen wollen wir in Zukunft verwenden?


Dieser Frage gehen zwei Forscherinnen des Exzellenzclusters Matters of Activity auf den Grund und verknüpfen dabei Material- und Designwissenschaften.

Fasern, Samenkapseln, Pflanzenstängel oder Seidengespinste – in der Natur gibt es jede Menge unterschiedlicher Materialien. Viele von ihnen haben außergewöhnliche mechanische Eigenschaften und können sich etwa an wechselnde Umweltbedingungen anpassen. Wie funktionieren diese biogenen Materialien und könnten sie möglicherweise Inspirations- und Rohstoffquelle für Architektur, Design oder Produktentwicklung sein?

In der gemeinsam vom Max-Planck-Institut für Grenzflächen- und Kolloidforschung in Potsdam und dem Exzellenzcluster Matters of Activity getragenen Forschungsgruppe Adaptous Fibrous Materials widmen sich Forschende aus den Material- und Designwissenschaften genau dieser Frage.

Produkt- und Materialdesignerin Dr. Charlett Wenig und die Modedesignerin Johanna Hehemeyer-Cürten erkunden in einem gemeinsamen Forschungsprojekt Baumrinde und untersuchen, wie sich dieses Biomaterial ernten, bearbeiten und in neue Produkte verwandeln lässt.

Geöffnete Samenkapsel der Banskia Attenuata © Friedrich Reppe

Geöffnete Samenkapsel der Banskia Attenuata © Friedrich Reppe

Frau Wenig und Frau Hehemeyer-Cürten, Sie sind beide in der Forschungsgruppe „Adaptive Fibrous Materials“ des Exzellenzclusters Matters of Activity tätig. Womit beschäftigt sich diese Gruppe?

Johanna Hehemeyer-Cürten: Mit unterschiedlichen Faser- und Pflanzenmaterialien wie Baumrinde, Seide, Baumwolle oder mit der Banksie – einer Pflanze mit feuerfesten Samenkapseln aus Australien. Diese hat einen interessanten Öffnungsmechanismus und öffnet ihre Samenkapseln nach Buschbränden. Unsere Kolleg*innen schauen sich an, wie dieser Mechanismus genau funktioniert und welche Reize ihn auslösen. Wie hat die Natur es geschafft, eine so perfekte Verpackung für Samen zu bilden und könnten wir davon auch für Verpackungsmaterialien lernen? In unseren Arbeiten geht es darum, Materialien genau zu untersuchen, Erkenntnisse daraus zu gewinnen und Wissen für die Gestaltung zu generieren. Was sind die materialspezifischen Eigenschaften? Welche Anwendungsszenarien können davon ausgehend entwickelt werden? Das ist in erster Linie Grundlagenforschung, die möglicherweise später einmal auch in die Anwendung kommt.

In Ihrer Forschung steht das Material Rinde im Vordergrund. Was macht diesen Rohstoff so interessant für Sie?

Hehemeyer-Cürten: Wenn wir uns etwa Kiefernrinde anschauen, gibt es gerade hier in unserer Region ganz viel von diesem Rohstoff. Über Rinde als Material gibt es im Vergleich zu Holz sehr wenig Wissen. Zuerst einmal ist es ein sehr vielfältiges Material: Unten borkig und brüchig, oben am Baum wiederum dünn und glatt. Man kann Kiefernrinde mit Hilfsmitteln wie einer Lösung aus Glycerin und Wasser langfristig flexibel machen, so dass sie lederähnliche Eigenschaften erhält. Und dadurch lässt sie sich ganz anders verarbeiten, als man erst einmal denkt. Zusätzlich hat Rinde in Wuchsrichtung eine viel stärkere Faser als in der Breite. Das macht auch Sinn, denn wenn das Holz wächst, muss die Rinde mitwachsen. Beides sind Eigenschaften, die man gut nutzen kann, um das Material weiterzuverarbeiten – etwa zu weben oder sogar zu falten.

In Wirklichkeit nicht ganz so groß: Die "Bark Sphere" ist ein begehbares Ausstellungsobjekt, das die Forschung von Matters of Activity sichtbar und die Materialeigenschaften von Rinde wie Klima und Duft erlebbar macht. ©  BUA

In Wirklichkeit nicht ganz so groß: Die "Bark Sphere" ist ein begehbares Ausstellungsobjekt, das die Forschung von Matters of Activity sichtbar und die Materialeigenschaften von Rinde wie Klima und Duft erlebbar macht. © BUA

Charlett Wenig: Für mich war entscheidend, dass Rinde derzeit vor allem als Abfall betrachtet wird. Fünf bis zwanzig Prozent eines Baumes bestehen aus Rinde. Das meiste davon wird entweder im Sägewerk verbrannt – meistens nass, weil es sich nicht lohnt, es zu trocknen – oder es wird zu Rindenmulch verarbeitet. Schon deswegen lohnt es sich, nach Eigenschaften zu schauen, die das Material für eine Nutzung interessant machen. Rinde wurde schon in der Steinzeit genutzt: Es gab Fußböden aus Birkenrinde. Rinde ist ein Naturmaterial, das man unbearbeitet in großer Länge erhalten kann: Wir haben einmal ein elf Meter langes Stück geschält. Das ist interessant, wenn man in großen architektonischen Skalen denkt. Und dadurch sind natürlich tolle Sachen möglich, wie zum Beispiel unsere Rindenkugel.

Sie meinen damit die sogenannte Bark Sphere – eine Kugel aus Rinde, die auf Stelzen steht und die derzeit hier bei Ihnen am Institut aufgestellt ist. Was hat es mit dieser Kugel auf sich?

Wenig: Wir wollten mit diesem Projekt untersuchen und zeigen, was man gestalterisch im Bereich Design und Architektur aus Rinde machen kann. Das Material sollte dabei im Vordergrund stehen, und nicht das Objekt an sich. Deswegen haben wir mit der Rindenkugel ein sogenanntes Grenzobjekt geschaffen, das viele Fragen aufwirft und zum Nachdenken anregt. Dieser Begriff – Boundary Object – ist aus der Soziologie bekannt. Man kann damit unterschiedliche Aspekte beleuchten. Bei uns waren das folgende Fragen: Wie kann man Rinde verarbeiten? Können wir sie architektonisch nutzen? Wie ist es, in Rinde drin zu sein? Und natürlich wollten wir das Objekt nutzen, um Kommunikation anzuregen. Dazu wird es deutschlandweit in verschiedenen Ausstellungen gezeigt. Die Besuchenden können von unten in die Kugel reingehen und sind dann bis zum Oberkörper von Rinde umhüllt.

Was genau passiert dann auf solchen Ausstellungen?

Wenig: Wenn die Leute dieses Objekt sehen, fragen sie sich erst mal: Was ist denn das? Weil sie es nicht kennen. Das ist auch unser Grundgedanke dabei gewesen: Ein abstraktes Objekt zu schaffen, das die Spekulation über Verarbeitung und Nutzung von Rinde fördert und provoziert. Und dann gibt es einen Austausch. Den meisten Menschen fällt etwa zuerst der Geruch in der Kugel auf. Er ist immer noch harzig und holzig, obwohl die Kugel schon drei Jahre alt ist. Wenn die Kugel in einem sehr hellen Raum steht, ist sie lichtdurchlässig und von innen auch optisch sehr schön. Zusammen mit der gedämpften Akustik ergibt das eine ganz besondere Atmosphäre.

Verwobene Baumrinde, Experimentallabor CollActiveMaterials © Michelle Mantel

Verwobene Baumrinde, Experimentallabor CollActiveMaterials © Michelle Mantel

Frau Hehemeyer-Cürten, Sie forschen aktuell für ihre Promotion zu Rinde. Was genau untersuchen Sie?

Hehemeyer-Cürten: Ich konzentriere mich einmal auf die Extraktion von Substanzen und deren Anwendung. Da geht es hauptsächlich um Farbe und Glanz. Ich arbeite viel mit Kaltwasserextraktion und ziehe damit beispielsweise Tannine und andere chemische Verbindungen aus der Rinde. Ich erhalte daraus einen Farbfilm, der ganz unterschiedliche Farben hat. Mal ist es ein tolles Dunkelrot und glänzt, ein anderes Mal ist es orange und matt. Und manchmal sind es sogar Regenbogenfarben. Das ist unheimlich variabel und wir versuchen gerade, die Verfahren zu optimieren, um diese Filme gleichmäßig zu extrahieren. Die gewonnenen Extrakte lassen wir direkt auf der Rinde wieder trocknen und kreieren so eine ganz neue Rindenstruktur und -farbe. Außerdem geht es in meiner Arbeit um das Faltverhalten von Rinde. Rinde kann man schlecht nähen, nageln oder kleben, dafür aber kann man sie tatsächlich gut falten. Und zwar so, dass die Faltung reversibel ist und beispielsweise bei Kontakt mit Wasser aufgeht und sich beim Trocknen wieder schließt. In einem nächsten Schritt könnte man sich überlegen, für welche Anwendungsbereiche das interessant wäre.

Wie sieht ihr Arbeitsalltag als Rindenforscherin aus?

Hehemeyer-Cürten: Das ist sehr vielseitig und unterschiedlich und das ist gerade das Schöne. Wir ernten die Rinde selbst, was körperlich anstrengend ist. Im Frühsommer ist die beste Zeit zum Ernten und nach dem Fällen haben wir ein bis zwei Wochen Zeit, die Rinde zu schälen, bevor sie zu trocken wird. Mit Holzkeilen ziehen wir die Rinde ab und lagern sie in unserem Rindenlager am Max-Planck-Institut in Potsdam. Als Designerin gehe ich dann oft ins Labor, um dort wild mit dem Material herumzuexperimentieren. Ich gehe dabei vielleicht anders vor, als Forschende aus den Natur- und Technikwissenschaften, aber dadurch entdeckt man Dinge, auf die man sonst vielleicht nicht kommt.

"Baumrinde neu denken" - Ein Workshop des von der Berlin University geförderten Experimentallabors CollActive Materials im Futurium Lab © Matters of Activity

"Baumrinde neu denken" - Ein Workshop des von der Berlin University geförderten Experimentallabors CollActive Materials im Futurium Lab © Matters of Activity

Was machen Sie dann mit Ihren Entdeckungen?

Hehemeyer-Cürten: Wenn ich etwas Spannendes gefunden habe, gehe ich in den interdisziplinären Austausch mit den anderen Kolleg*innen. Gemeinsam überlegen wir, welche Techniken wir verwenden wollen, um die chemischen und mechanischen Eigenschaften der Materialien zu verstehen: Mikroskope, Spektroskope oder etwa CT-Scans. Im Exzellenzcluster haben wir dann viele Möglichkeiten, gestalterisch zu experimentieren. Dafür gibt es Arbeitsplätze mit Laser-Cuttern, großen Sägen und anderen tollen Geräten. Deswegen ist es auch total genial, diese beiden Orte – das Institut in Potsdam und den Exzellenzcluster in Berlin – zu haben.

Warum ist denn diese Forschung wichtig und wie könnten Ihre Erkenntnisse dazu beitragen, die großen Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?

Wenig: Ein ganz wichtiger Aspekt ist der Wissensgewinn. Wir brauchen neue Materialien und müssen uns überlegen, welche Rohstoffe wir verwenden wollen. Was haben die für einen Einfluss? Wie werden sie angebaut? Wo kommen sie her? Wie werden sie verarbeitet? Und was lassen sie in der Natur zurück, wenn sie sich abbauen? Aus all diesen Aspekten macht es extrem viel Sinn, lokale Biomaterialien zu verwenden. Was aber bedeutet, dass wir diese Materialien auch verstehen müssen.

Neue Herausforderungen brauchen neue Forschung?

Wenig: Es geht darum, welche Ressourcen wir in Zukunft verwenden wollen und in welche Ressourcen wir Energie für die Forschung stecken. Man kann natürlich auch viele tolle neue synthetische Materialien entwickeln. Aber warum nutzen wir nicht das, was um uns herum ist? Wie kann es sein, dass wir Holz verwenden, aber dass dann die Äste, die Blätter und die Rinde Abfallmaterialien sind? Wie können wir einen Rohstoff wachsen lassen und ihn dann nicht vollständig nutzen? An diesem Punkt setzt unsere Forschung an: Wir verbinden Naturwissenschaft und Design und können dadurch vielleicht beide Bereiche ein wenig verändern.

Frau Wenig, Frau Hehemeyer-Cürten, vielen Dank für das Gespräch!

Wozu forscht der Exzellenzcluster Matters of Activity noch? Das erfährst du hier →

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