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Spitten, Transformieren, Gestaltwandeln: Zur Poetik des Reims im Rap

Anton Fery, Tobias Krüger

Kaum eine rhetorische Figur kann auf eine so lange und interessante Geschichte zurückblicken wie der Reim. Im Gegensatz zu den meisten anderen Klangfiguren wie Alliteration, Assonanz oder Onomatopoesie usw. kannte die europäische Antike den Reim nicht. Erst im Mittelalter konnte er sich langsam durchsetzen, ehe er schließlich zu dem Erkennungsmerkmal von Lyrik schlechthin wurde. Insbesondere das 18. Jahrhundert lieferte sich heftige Debatten um den Sinn und Unsinn des Reims. Von der Überzeugung getragen, sein Innovationspotenzial sei an ein Ende gekommen, wurde er von der Lyrik der Moderne verabschiedet. Vor dem Hintergrund des Siegeszugs der Prosa und des Romans geriet er zunehmend in Verruf und wurde als albernes und inhaltsloses Geklingel abgetan. Bis heute verzichtet die Gegenwartslyrik weitestgehend aufs Reimen. Im Rap hingegen spielt der Reim weiterhin eine tragende, vielleicht sogar konstitutive Rolle: “Hip Hop artists dominate the contemporary art of rhyme” (vgl. David Caplan).   Entgegen der These, dass das lyrische Potenzial des Reims erschöpft sei, konnte die Rap-Poetry der Klangfigur einige interessante Innovationen bringen, auf die wir in unserem Vortrag das Augenmerk legen wollen. Das wären in erster Linie:  1.    Der Transformative Reim (vgl. Adam Bradley) Durch die erweiterten Möglichkeiten des gesprochenen Worts ist es im Rap möglich Wörter aufeinander zu reimen, die sich in der klassischen Lyrik auf Papier nicht reimen würden.  2.    Das Metamorphotische des Reims  Während in den Anfangszeiten des Rap vor allem Paarreime eingesetzt wurden, ist der Haufenreim in den letzten 20 Jahren zur dominierenden Reimform geworden. Dabei jedoch werden die langen Reimketten meist nicht von Anfang bis Ende der Strophe stringent durchgehalten, sondern stets leicht variiert. Derart werden (nicht zuletzt durch transformative Reime) innerhalb eines Textes immer wieder neue Reimpartner erschlossen, sodass der Reim im Laufe der Strophe seine Gestalt verändert: er durchlebt eine Metamorphose.  3.    Die Technik des Spittens Insbesondere im deutschsprachigen Raum konnte sich eine eigene Tradition des homophonen Reims herausbilden: das sogenannte Spitten. Dabei werden Wörter oder Wortfolgen aufeinander gereimt, die (fast) identisch klingen.