Starke Achse für Forschung und Lehre
Çiğdem İşsever, erste akademische Leiterin der Oxford/Berlin Wissenschaftskooperation, spricht über ihre neue Position und ihre beruflichen Erfahrungen in Oxford
News vom 11.02.2021
Die drei Berliner Universitäten, die Charité – Universitätsmedizin Berlin und die Oxford University wollen gemeinsam exzellente, innovative und interdisziplinäre Wissenschaftskooperationen unterstützen, die weder vor institutionellen noch vor internationalen Grenzen halt machen. Unterstützt wird die 2017 ins Leben gerufene Oxford/Berlin Wissenschaftskooperation dabei seit dem 1. Januar von Çiğdem İşsever. Die promovierte Teilchenphysikerin ist die erste akademische Leiterin (Academic Director) für die Kooperation. Die Wissenschaftlerin forscht seit Herbst 2019 als Professorin für experimentelle Hochenergiephysik an der Humboldt-Universität zu Berlin und ist leitende Wissenschaftlerin am Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) in Zeuthen.
Die Stelle der akademischen Leiterin wurde neu geschaffen, um die Governance-Struktur der Partnerschaft zu stärken und akademische Interessen noch stärker zu berücksichtigen. Im Interview erzählt Çiğdem İşsever von ihrer beruflichen Verbindung nach Oxford und ersten Ideen, die sie in die Oxford/Berlin Wissenschaftskooperation einbringen möchte.
Frau Issever, worauf freuen Sie sich in Ihrer neuen Position als akademische Leiterin?
Ich freue mich auf die Interaktion mit den verschiedenen Institutionen und Menschen. Der erste Monat ist schon turbulent verlaufen. Ich lerne im Verbund noch einmal viel dazu und lerne auch viele Leute kennen. Das ist sehr interessant.
Was verbindet Sie mit Oxford?
In Oxford war ich 15 Jahre – also eine recht lange Zeit. Nach meinem ersten Postdoc in den USA bin ich 2004 als sogenannte Departemental Lecturer nach Oxford gegangen und habe 2014 meinen Professorinnentitel erhalten. Im Sommer 2019 kam ich schließlich als Professorin an die Humboldt-Universität zu Berlin. An der University of Oxford bin ich weiterhin Visiting Professor.
Als experimentelle Hochenergiephysikerin war ich Mitglied bei der ATLAS-Gruppe in Oxford. ATLAS ist ein internationales Hochenergiephysik-Experiment am europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf mit fast 3.000 Mitgliedern. Es hat überall in der Welt Forschungsgruppen, eben auch an der Universität in Oxford. Der ATLAS-Detektor befindet sich an einem der Kollisionspunkte des Large Hadron Colliders (LHC) am CERN, an dem zwei entgegengesetzt laufende Protonstrahlen aufeinanderstoßen. Die LHC-Kollisionsenergien sind die höchsten weltweit, die an einem Teilchenbeschleuniger erzeugt werden können und das macht diese Experimente so interessant. Sie ermöglichen uns einen Blick in das Innerste der Materie und Strukturen des Vakuums. Der ATLAS-Detektor ist ein sehr komplexes Instrument und so groß wie eine Kathedrale. Ich habe am Anfang meiner Zeit im ATLAS-Experiment nach mikroskopischen schwarzen Löchern gesucht. Eine Entdeckung dieser Objekte am LHC hätte erste Anzeichen für die Existenz von zusätzlichen Raumdimensionen gegeben. Die schwarzen Löcher konnten allerdings nicht nachgewiesen werden und diese Null-Ergebnisse lieferten Aufschluss über die Größe von zusätzlichen Raumdimensionen, die in vielen Theorien vorhergesagt werden. So begann meine Laufbahn in der ATLAS-Kooperation am CERN.
In meiner aktuellen Forschung befasse ich mich mit dem neu entdeckten Higgs-Boson, einem Elementarteilchen, das 2012 am LHC entdeckt wurde. Damit suche ich nach neuen Teilchen und mache Messungen am Higgs-Boson selbst.
Was ist aus Ihrer Sicht das Besondere an der BUA und an der Kooperation?
Das Besondere an der BUA ist neben den eingebundenen exzellenten Instituten der Standort Berlin. Berlin ist eine internationale Stadt – und das macht die Verbundpartnerinnen ungemein attraktiv. Berlin kann auf der Weltbühne mit anderen Standorten konkurrieren. Einer der Gründe, warum ich 2019 hierhergekommen bin, ist diese Internationalität und das Wissenschaftspotenzial, die die Anziehungskraft von Berlin ausmachen. Auch die Oxford Universität ist eine sehr internationale Hochschule – das passt gut zueinander. Indem sich Berlin und Oxford zusammentun, können sie eine starke Achse für Forschung und Lehre bilden. Das hat eine starke Leuchtkraft und das finde ich vielversprechend und attraktiv.
Welche Projekte wollen Sie angehen?
Natürlich muss ich noch mit sehr vielen Akteurinnen und Akteuren reden. Ich möchte herausfinden, wo die besten Kooperationsmöglichkeiten zwischen Oxford und Berlin sind und mich auf wenige, aber gut positionierte Projekte fokussieren. Es sind so viele Institute und Forschungsbereiche beteiligt. Was die größte Schlagkraft dieser Kooperation ausmachen könnte, sind Projekte, die sich auf Methoden und Algorithmen fokussieren, die man zwischen verschiedenen Fachbereichen und Instituten transferieren kann, zum Beispiel künstliche Intelligenz oder Quantentechnologien. Nur um ein Beispiel zu nennen: Teilchenphysikerinnen und -physiker analysieren riesige Mengen an Daten. Diese Techniken kann man auch in der Medizin oder in den Sozialwissenschaften anwenden. Da denke ich zum Beispiel an künstliche Intelligenz, Algorithmen, Datenbanken. Die Interdisziplinarität ist wichtig für mich.
Des Weiteren bieten sich Kooperationsmöglichkeiten auf dem Gebiet der digitalen Technologien, der Sozialwissenschaften, Medizin, der Pandemie-Forschung und Global Health. Das sind Forschungsbereiche, an denen auch die Oxford Universität sehr interessiert ist. Ein anderes Thema, das ich neben der Forschung eng in meinen Fokus nehmen werde, sind Programme für Studierende, etwa zu gemeinsamen Lehrveranstaltungen. Eine starke und langlebige Kooperation zwischen den Verbundpartnerinnen muss auch Studierende und Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler einbeziehen. Der Austausch und die Vernetzung sollen nicht nur über die etablierten Forscherinnen und Forscher stattfinden, sondern auch über die Studierenden und die Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler. Die Oxford/Berlin Kooperation bietet eine einmalige Gelegenheit für den Austausch auf dieser Ebene.
Çiğdem İşsever hat Physik an der Universität Dortmund studiert und dort in Naturwissenschaften promoviert. Anschließend übernahm sie drei Jahre lang eine Postdoc-Stelle an der University of California Santa Barbara in den USA bevor sie an die University of Oxford wechselte, dort habilitiert wurde und als Professorin für Teilchenphysik tätig war. Im Herbst 2019 wechselte sie an die Humboldt-Universität zu Berlin. In ihrer bisherigen akademischen Karriere erhielt Çiğdem İşsever bereits verschiedene Forschungsstipendien, darunter eine Förderung als Spitzenforscherin mit einem ERC Advanced Grant vom Europäischen Forschungsrat (European Research Council). |
Die Fragen stellte Ina Friebe